Jens Matthes im Interview

Die KI, das Recht und ich

Künstliche Intelligenz ist gekommen, um zu bleiben – aber als was genau, rechtlich gesehen? Technologie-Anwalt Jens Matthes von A&O Shearman denkt gern, natürlich intelligent, darüber nach.





Eigentlich können wir das Interview gleich wieder beenden, die Gesetzeslage ist doch eindeutig, oder?

Jens Matthes: Genau. Aus heutiger juristischer Sicht ist ganz klar: Eine KI ist keine Person. Für Juristen ist eine „Person“ jemand oder etwas, das Rechte und Pflichten haben kann. Das deutsche Zivilrecht kennt nach heutigem Stand nur zwei Arten von Personen, nämlich natürliche und juristische. Eine KI hat keinen Herzschlag und kann nicht wie wir Geburtstage feiern. Sie ist also sicher keine natürliche Person. Um eine künstliche Intelligenz als juristische Person anzuerkennen, etwa wie eine GmbH, bräuchten wir ein ganz neues Gesetz.

Sie haben so auffällig „aus heutiger juristischer Sicht“ gesagt. Ist morgen schon alles anders?

Denkbar, ja. Die Fortschritte im weiten Feld der künstlichen Intelligenz waren zuletzt atemraubend. Keiner hat gedacht, dass zum Beispiel Sprachmodelle so schnell so gut werden. Unsere Rechtsordnung basiert zwangsläufig auf Vorstellungen aus der Vergangenheit. Früher war die Vorstellung von autonom handelnden Maschinen und Algorithmen, die kreativ denken oder gar „erfinden“ können, reine Science-Fiction. Das sieht heute ganz anders aus. Und auch, wenn es manchmal dauert: Bisher sind Recht und Gesetz immer der Realität gefolgt. In puncto neue Rechtspersonen lohnt ein Blick über den Tellerrand: Sogar Flüsse wie der Vilcabamba in Ecuador oder der neuseeländische Whanganui wurden zu juristischen Personen gemacht, um sie besser zu schützen. Es ist also nicht unmöglich.

Schon vor Jahrzehnten hat der amerikanische Philosoph Hilary Putnam gefordert, rechtzeitig zu diskutieren, wie wir damit umgehen wollen, wenn die ersten Maschinen behaupten, sie seien bewusst, und Personenstatus fordern. Ist rechtzeitig … jetzt?

Darüber nachdenken müssen wir unbedingt. Das heißt aber noch lange nicht, dass jetzt schon die Zeit gekommen ist, eine Software zur Person im rechtlichen Sinne zu erheben. Wenn man über eine KI nachdenkt, die auch Rechte wie Eigentum bekommen soll, muss man sich fragen: Warum eigentlich? Wo ist da der Bedarf? Ich sehe momentan nicht, dass wir das Spektrum der bestehenden Rechtspersonen erweitern müssten. Dass eine KI schon bald bei uns anklopft und sagt, ich habe jetzt Bewusstsein und möchte Rechte und Pflichten, halte ich für Science-Fiction-Gedöns.

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